Sandra Gerlach (Francesca), Foto: (c) Susanne Birck

„Gefährliche Liebschaften“ – wunderbar aufgetischt an der Musikhochschule Lübeck

Wenn sechs junge Damen sich „Gefährlichen Liebschaften“ widmen, verspricht das ein sinnliches Vergnügen – für das Ohr, wenn sie einschmeichelnd singen, leise wie laut, hoch wie tief, im plappernden Recitativo wie im gewandten Belcanto oder mit rasanten Koloraturen –, für das Auge, wenn sie bezaubernd im wallenden Countuche und mit fein gepuderten Perücken oder, um vielleicht das Männliche zu ergründen, im langen Rock, in vornehmen Culotten und seidigen Strümpfen sich bewegen.

Das Versprechen erfüllte sich nach einer Aufführung der Musikhochschule Lübeck zunächst in Bad Oldesloe im Kultur- und Bildungszentrum, jetzt noch einmal an der Trave abwärts in eigenen Gemäuern (24. und 25. Juni). Besonders reizvoll dabei ist, dass in Bad Oldesloe der kleinere Raum die Agierenden in Tuchfühlung zum rundum sitzenden Publikum brachte, während die weit größere Konzertbühne an ihrem Ausbildungsort sie eher distanziert, doch müssen sie auch dort oft die Bühne verlassen und sich dem Publikum hautnah nähern.

Dorothea Bienert (Valmont), Foto: (c) Susanne BirckDorothea Bienert (Valmont), Foto: (c) Susanne Birck

Aparte Aufgabe

Die Aufgabe in diesem Semester ist damit für die sechs Studentinnen besonders apart, nicht nur, dass sie sich mit allem Einsatz der Liebe hingeben durften – und das im Rahmen beruflicher Ausbildung. Sie durchlebten eine Zeit, in der Liebe ein Gesellschaftsspiel war, bevor die nüchternen, revolutionären Sansculotten den Zeitgeist bestimmten. Nach Honeggers vor allem erotischen „Abenteuern des Königs Pausole“ im vergangenen Jahr, bei dem alle schon am Erfolg teilhatten, wollte man sich offenbar mit den „Gefährlichen Liebschaften“ amourös steigern. Der Briefroman von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos, im Original „Les Liaisons dangereuses“, war 1782 erschienen und ist ein feinsinnig gesponnenes Sittengemälde des ausgehenden Ancien régime. In ihm „führen mehrere Personen … einen derart sittenlosen Lebenswandel, dass man unmöglich annehmen kann, sie hätten in unserem Jahrhundert gelebt, in diesem Jahrhundert, in dem – wie jeder weiß – Aufklärung und Wissen überallhin gedrungen sind, so dass alle Männer rechtschaffen, alle Frauen züchtig und so sittsam geworden sind“. So übersetzte Walter Widmer eine Passage aus den ironischen „Vorbemerkungen“ des Briefromans, den auch Heinrich Mann, daran zu erinnern darf in Lübeck nicht versäumt werden, ins Deutsche übertrug.

Erst vor zwei Jahren feierte der einstige Skandalerfolg als Musical an Münchens Gärtnerplatz muntere Auferweckung. Aber nicht darauf bezieht sich die neuerliche Inszenierung. Sie basiert auf einer 1998 in Gelsenkirchen aufgeführten Fassung des Schweizer Dirigenten Samuel Bächli. Auf nur sechs Rollen, die zwei männlichen dabei als Hosenrollen gestaltet (um auf der Bühne das Handfeste zu vermeiden?), hat er das verzwickte intrigante Geschehen verkürzt. Turbulentes bleibt genug, wenn die angesehene Marquise de Merteuil, Contessa genannt, und ihr abtrünniger Geliebter Vicomte de Valmont ihre erotischen Intrigen spinnen, auch wenn mit Riccardo, im Roman wohl Ritter Danceny, für Valmont nur ein einziger „männlicher“ Widersacher verbleibt, der dann im zweiten, turbulenteren Akt das tragische Finale herbeiführt, indem er Valmont im Degenduell ersticht. Eine wunderbare, rhythmisch aufgebaute Szene ergibt das, wenn Valmont und Riccardo zu einem Satz aus einem Concerto grosso mit dem Florett aufeinander losgehen.

Franziska Buchner (Eleonara), Sandra Gerlach (Francesca), Milena Juhl (Riccardo), Foto: (c) S. BirckFranziska Buchner (Eleonara), Sandra Gerlach (Francesca), Milena Juhl (Riccardo), Foto: (c) S. Birck

Ein kostbares Pasticcio

Es sind also sechs Sängerinnen vonnöten, dem Händel in Liebesdingen Gestalt und Stimme zu geben, zu dem der mit dem Vornamen Georg Friedrich die Noten fertigte. Aus allerlei Werken, aus Concerti grossi, aus Oratorien wie dem „Herkules“ oder „Solomon“ und vor allem aus Opern von A bis X, von „Agrippina“ und „Ariodante“ über „Deidamia“ bis „Xerxes“, war Instrumentales und Gesangliches wie Soloarien, Duette und sogar die eher seltenen Terzette zu einem Pasticcio gemischt. Die barocke Oper hat ja bekanntlich in Rezitativen die Handlung vorangetrieben, die hier in Deutsch die des Romans wiedergeben, während die im Original gesungenen Arien seelische Zustände wie Freud und Leid, Zorn oder Verzweiflung, Sehnsucht oder Trauer ausdrückten. Für die schwelgenden Gemütszustände und die Seelengewitter wurde genug im Werk des Hallensers gefunden, so dass quasi von einer neuen Oper zu sprechen ist, zumal seinerzeit der Austausch der musikalischen Höhepunkte gang und gäbe war.

Spiel- und Spiegelwelt

Inszeniert hat Claudia Gotta (Deutsche Oper Berlin) dies muntere Spiel um Macht und Erotik, um Konvention und Selbstbestimmung. Es ereignet sich in einer kargen Szenerie (Bühnenbild: Olga von Wahls), bei der eine Bank und mehrere Tische zum Schreiben und Lieben praktikable bis drastische Treffpunkte bilden. Das Rokoko liebte die Natur, hier zitiert durch einen stattlichen Heuhaufen, in dem man sich genüsslich wälzen kann. Wichtigstes Objekt aber ist eine Art Spiegelbaum, der der Regie dient, Eitelkeiten und Selbstbespiegelung zu demonstrieren, Charaktermerkmale, die gleichzeitig Ausdruck von Selbstüberschätzung, von Kontrolle wie Unsicherheit sind.

Lena Langenbacher (Contessa), Foto: (c) Susanne BirckLena Langenbacher (Contessa), Foto: (c) Susanne Birck

Stimmen

In den Kostümen und unter viel Puder fühlten sich die Damen recht wohl (Kostümbild: Carl-Christian Andresen), sangen und kokettierten überzeugend. Ein lüsternes und gleichermaßen durchtriebenes Pärchen gaben Lena Langenbacher als Comtesse und Dorothea Bienert als Valmont ab. Der Sopran von Lena Langenbacher vermochte sich wunderbar in Weichheit und Härte ihren wechselnden Stimmungen und Absichten anzupassen. Dorothea Bienert ist spielerfahren genug, ihren ausgeglichenen Mezzo sehr gewandt und sicher einzusetzen, mit gut gestützter Tiefe. Für Camilla Ostermann war eine so nicht im Roman vorkommende Partie als Maria geschaffen, die eine der von Valmont Umgarnten ist. Ihr warmer und weicher Sopran fügte sich sehr passend ihrem naturnahen Charakter an und gab ihrem Lamento sinnlichen Ausdruck. Franziska Buchner überzeugte als eher strenge Mutter Eleonora, die zum Schluss eine Hercules-Aufgabe glänzend löste. Ihre runde Stimme setzte mit dem unbegleiteten „Where shall I fly“ aus eben jenem Oratorium „Hercules“ einen innigen Schlusspunkt. Sandra Gerlach als ihre zunächst unschuldige Tochter Francesca klang wendig und sicher. Milena Juhl schließlich gestaltete die zweite Hosenrolle. Sehr lebendig und voller Elan war sie ein Mezzo, dem man die Rolle als Liebender und zornig Fechtender abnahm. Für alle aber gilt, dass die Rezitative ausgesprochen gut zu verstehen waren.

Den musikalischen Rahmen gab geschmeidig ein kleines Kammerorchester mit sechs Studenten unter musikalischer Leitung von Professor Robert Roche. Obwohl er nur die Instrumentalisten zusammenhielt, auch sie auf der Bühne im Hintergrund platziert, gelang den Sängerinnen ein nahtloses Miteinander.

Mit langem Beifall wurden sowohl in der ersten als auch in der letzten Aufführung alle Mitwirkenden gefeiert.


Fotos: Susanne Birck

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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