Ein Theaterabend am Theater Lübeck
Das bittere Ende der Comedian Harmonists

Die Songs in raffinierten Vokalsätzen sind Ohrwürmer seit mehr als 90 Jahren, der vom „Freund, dem guten Freund“, von der „Veronika“, die den Spargel wachsen lässt, vom „Kleinen, grünen Kaktus“ oder der „Schönen Isabella aus Kastilien“.

Und die, die sie in raffinierten Sätzen gesungen haben, sind gleichfalls unvergesslich: die Comedian Harmonists. Sie haben sich als Vokal-Orchester verstanden. Am Theater Lübeck sind sie wieder lebendig geworden: "In der Bar »Zum Krokodil«".

So lautet auch der Titel zu einem Theaterabend, der den Comedian Harmonists gewidmet ist, nicht nur ihren Songs. Die Produktion des Schauspiels stammt von Pit Holzwarth – seit 10 Jahren Direktor der Sparte. Schon das Zitat aus dem Refrain eines ihrer großen Erfolge ist geschickt gewählt, klingt zunächst harmlos und enthält doch mehrschichtig den Kern des Stückes. Zum einen charakterisiert dieser Onestep die heitere, leicht frivole und ansteckend fröhliche Welt einer glitzernden Epoche, die der Zwanziger. Zudem bieten die scharfen Zähne des urtümlichen, großmäuligen Getiers für böse Zeitumstände eine komische, doch tragende Metapher, die Holzwarth wiederholt in seinem Text nutzt.

Zum anderen aber, weniger offensichtlich, kann der Titel auf die abartige Dramatik der Zeit verweisen. Sie zeigt sich beim Blick auf die Schicksale der beiden Autoren, das des Komponisten und das des Texters. Den vor allem durch die Comedian Harmonists bekannten Schlager "In der Bar »Zum Krokodil«" hat der in Bonn geborene Willy Engel-Berger komponiert. Äußerst erfolgreich war er, ebenso beliebt wie auch Fritz Löhner alias Beda, der Texter. Er wurde als Bedřich Löwy in Böhmen geboren. Bereits 1938 kam der österreichische Jude nach Buchenwald und wurde 1942 in Auschwitz ermordet. In seinem Buchenwald-Lied steht: „… wir wollen trotzdem ja zum Leben sagen, denn einmal kommt der Tag: dann sind wir frei!“.

Immer wieder suchte Holzwarth bei musikalischen Größen wie Jonny Cash, Leonard Cohen oder Rio Reiser nach dem, was hinter ihnen stand: Persönliches und Künstlerisches, Soziales und Politisches. So auch bei diesem Vokalsextett, das, 1928 gegründet, nach nur sieben Jahren trotz internationaler Erfolge in seiner ursprünglichen Besetzung zerschlagen wurde. Der bittere Grund war, dass die Krake „Reichskulturkammer“ drei „Nichtarier“ nicht an ihre Saugnäpfe lassen wollte. Das bedeutete Auftrittsverbot, das bedeutete Ausreise aus dem geliebten Heimatland.

Mit den Comedian Harmonists hatte Holzwarth sich bereits einmal beschäftigt, damals zusammen mit Renato Grünig, dem früh verstorbenen Gründungsmitglied von Bremens Shakespeare Company. Jetzt hat er das Stück neu bearbeitet, nur ein paar der szenischen Ideen Grünigs verwandt. Es zeigt in Ausschnitten drastisch und mit viel Humor, wie das Sextett wurde, was es heute noch ist, ein mitreißendes Vokalensemble und Vorbild für viele Gruppen. Es zeigt auch die inneren und äußeren Widerstände, die gruppendynamischen Prozesse bei sehr komplexen, teils widersprüchlichen Vorstellungen, das Künstlerische betreffend, und es zeigt die harte, anspruchsvolle Arbeit, die Können und Disziplin forderte und den langen Atem bis zum Erfolg. Im Gegensatz zu dem 1997 hergestellten Spielfilm des Regisseurs Joseph Vilsmaier verzichtet Pit Holzwarth ganz auf die intimen Beziehungen zu Frauen, bleibt dennoch sehr nah an dem, was über die Mitglieder bekannt ist. Sie stellen sich zunächst alle selbst vor. Das geschieht unter spitzwinkligen Balken, die Werner Brenner (Bühne und Kostüme) baute. Sie zitieren optisch den ersten Treffpunkt, Harry Frommermanns Dachkammer. Später werden diese Gebilde durch Glitzervorhänge oder weit herabhängende Hakenkreuzfahnen zu unterschiedlichen Auftrittsorten.

Im zweiten Teil werden die Folgen des schmerzlichen politischen Prozesses thematisiert, der Antisemitismus mit seiner menschenverachtenden Barbarei. Sie wird in die Formel gepresst: „Die Deutschen haben das Hausrecht“, erschreckend das mit seiner Nähe zu gegenwärtigen Parolen. Das Stück hält dennoch großartig die Balance zwischen einem historischen Rührstück, dem der Film nicht immer entkommt, und einer Karikatur der Zeitumstände. Dabei helfen Blicke auf weitere Figuren, darunter historische wie der Agent Bruno Levy, mit Frommermann verwandt, der Electrola-Mann Rudolph Fischer-Mareztki, der für Schallplattenverträge sorgte, und auch Nazis wie Goebbels oder Gauleiter Streicher, der „Stürmer“. Holzwarth lässt alle diese Rollen von Robert Brandt spielen. Er ist ein großartiger Verwandlungskünstler, einigen erschreckend ähnlich in Sprache und Statur.  

Die besondere Stärke dieses Abends aber sind die Darsteller des Sextetts, die eindrucksvoll spielen und sängerisch großartig den Klang der Comedians auferstehen lassen, und das ohne Soundtracks und andere technische Mätzchen. Andreas Hutzel hat schon wiederholt seine Musikalität bewiesen, ist jetzt wieder als polnischer Bariton Roman Cycowski gesanglich und in dessen ausgleichendem Wesen präsent. Den Robert Biberti, der als erster Frommermann folgte, eine Gesangstruppe nach dem Vorbild der amerikanischen „The Revelers“ zu bilden, stellt Henning Sembritzki dar, ein fundierender Bass, der mit Spielwitz besticht. Will Workmann begleitet am Klavier alle Sätze und gibt dem Pianisten Erwin Bootz seinen zwielichtigen Charakter. Der war als Musikstudent gut ausgebildet, neigte aber dem Nationalsozialismus zu. Drei Gäste, drei Tenöre, halfen bei den schwierigen musikalischen Partien im hohen Stimmbereich. Den Bulgaren Ari Leschnikoff hat der Countertenor Johann Moritz von Cube übernommen. Großartig, wie der einzig ausgebildete Sänger, Kirchenräume gewohnt, sich der Bühne anpasst. Vielseitig, beide auch mit Erfahrungen im A-cappella-Gesang sind die Schauspieler Tom Semmler und Johannes Merz, der eine als der sensible Erich A. Collin, „Volljude“, wie er sich selbst charakterisiert, der andere als Gründervater Harry Frommermann. 

Es ist durchaus packendes Theater, zeitbezogen, doch über sich hinausweisend, auf ein Kollektiv ausgerichtet, doch ebenso auf Individuen. Zugleich wird Musik geboten, sehr komplex gestaltet und choreografisch anspruchsvoll verpackt. Es ist ein Abend geworden, der lange nachwirkt.

Fotos: Thorsten Wulff

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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