Unterschiedliches zu Beginn von Numajiris letzter Konzertreihe mit den Lübecker Philharmonikern

Es war ein Zufall, dass am gleichen Ort, nur im Abstand von drei Tagen Sinfonisches in Programmen geboten wurde, deren Aufbau sich eigenartig glich. Am Freitag spielten die Elbphilharmoniker des NDR, am Sonntag und Montag dann das Hausorchester der MuK, die Lübecker Philharmoniker.

Beider Programm bot ein Klavierkonzert zwischen zwei Werken eines und desselben Komponisten, dort das einzige von Robert Schumann zwischen zwei sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss, hier ein Werk des Japaners Akira Miyoshi (1933-2013), das von zwei Ballettmusiken von Igor Strawinsky gerahmt war. Beides, die sinfonischen Dichtungen und die Ballettmusiken, beziehen sich auf Außermusikalisches. Bei Strauss war es Literarisches von Lenau und Nietzsche, während Strawinskys im Feuervogel sein Sujet aus der russischen Märchenwelt bezog, wohingegen das große Handlungsballett Petruschka vor allem auf Folkloristik zurückgeht, auf den Einfall, das groteske Leben einer Gliederpuppe auf einem Jahrmarkt zu schildern. Ein weiterer Zufall ist schließlich, dass es sich bei allen Werken um frühe, beim Don Juan und beim Feuervogel auch um erstmalige Auseinandersetzungen mit der jeweiligen Gattung handelt.

Die Lübecker Philharmoniker hatten weit weniger Bekanntes im Angebot. Zwar sind einzelne Partien der Ballette hier und da zu hören, die ganzen Suiten aber selten. Mit dem Klavierkonzert von Miyoshi dagegen wurde sogar ein absolut unbekanntes, ein nur intimen Kennern der neuen japanischen Musik bekanntes Werk geboten. Lübecks GMD Ryusuke Numajiri war dabei ein prädestinierter Anwalt, der sich in die Ausdrucksweise seines Landsmanns zum einen deshalb gut einfühlen konnte, weil er als Pianist selbst den Part einstudiert hatte, zum anderen hatte er bei Miyoshi Komposition studiert. Bei dieser Aufführung war die junge japanische Pianistin Yu Kosuge für den mit rasenden Kaskaden und häufig metallisch harten Ballungen gespickten Part eine glaubwürdige Partnerin des Orchesters. Das Werk machte insgesamt einen vitalen, eher expressiven Eindruck.

Das kontrastierte zu dem, wie Numajiri den Komponisten in seinem im Programmheft abgedruckten Gespräch mit Fedora Wesseler charakterisierte. Dort heißt es, er habe „eine Unnahbarkeit, eine Aura, die ihn ständig umgab“. Viel hart und hämmernd klingendes Schlagwerk, bizarr und pulsierend, aber auch gut zu verfolgende motivische Ansätze, die sich wiederholten und dann entwickelten, zudem eine klare dreiteilige Gliederung, durch Kadenzen hervorgehoben, bestimmten den Höreindruck. Im Montagskonzert bedankte sich die Pianistin, die mit vier Jahren ihr Studium in Japan begann und im Alter von 10 Jahren ihre Ausbildung in Deutschland fortsetzte, mit einem poetischen, an den französischen Impressionismus angelehnten Nocturne Miyoshis. Es hatte den versponnenen Titel Der Zauberer bringt dir Süßigkeiten, wenn du nicht schlafen kannst.

Mit der russischen, zugleich sehr tänzerisch geprägten Idiomatik Strawinskys hatte der Dirigent seine Schwierigkeiten. Gelang die Ballettsprache beim Tanzabend mit Prokofieffs Romeo und Julia-Ballett vor gut zwei Wochen noch leidlich, weil dessen Komposition direkter dem Sujet folgt, so waren bei dieser konzertanten Wiedergabe weder Farbigkeit und Klangfinesse in dem impressionistischen Feuervogel zu erleben noch die vielschichtige Flächen- und Collagentechnik im burlesken Petruschka. Numajiri dirigierte exakt und treibend, verlangte aber viel zu wenig dynamische Schattierungen im Melodischen und innerhalb der Instrumentengruppen. Solch ein flächiges Gestalten ließ im ersten die Farben verblassen und vergröberte den Witz im zweiten, der von liturgischen Melodien über derb-komische Tänze bis hin zu Wiener Walzerseligkeit eines Joseph Lanners ein ständiges Jonglieren verlangt. Allein die Tatsache, dass der Flügel weit links außerhalb des Podiums positioniert war und der Name des Pianisten, des in Frankreich lebenden Japaners Hideki Nagano, im Programmheft nicht einmal erwähnt ist, belegt, dass auch der Ansatz des Werkes nicht ernst genommen wurde. Strawinsky schwebte eine Art Konzert vor, bei dem das Klavier durch das „teuflische Arpeggio seiner Sprünge die Geduld des Orchesters … erschöpft“, woraus sich „ein schrecklicher Wirrwarr“ entwickelt. Hier war alles kreuzbrav und geradlinig.


Fotos: (c) Olaf Malzahn

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Kommentare  

# Moderne KlassikMichael Hoffmann (02.10.2016, 16:16)
Das seltene Vergnügen beim Konzert der Lübecker Philharmoniker war für mich, daß das gesamte Programm aus "modernen" Werken bestand. Als Fan von Musik von Stravinsky, Schostakowitsch u.ä. muß man in den meisten Konzerten, die solche Werke enthalten, viel "alte" Musik zusätzlich ertragen.

Vollkommen wäre der Abend für mich gewesen, wenn passenderweise noch Stravinsky's Le Sacre gespielt worden wäre.

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