Vom Punk-Idol zum Swing-Dandy
Das Junge Stereopark Festival rockte den Werkhof

Rappelvoll und schweißtreibend war´s am Samstag im Werkhof in der Lübecker Kanalstraße. Akustische Tanzmucke der unterschiedlichsten Art traf auf ein bunt gemischtes und tanzfreudiges Publikum. Thies Reinck und Felix Wohlstein vom Veranstalter Besttones hatten einen Strauß deutschsprachiger Musiker von Rock über Pop, Hamburger Schule, Balkan-Rap bis Gypsy-Swing zu bieten, um den Werkhof zu rocken.

Als ich pünktlich zum angesagten Beginn gegen 20 Uhr erschien, brachte bereits ein bestens aufgelegter und hoch motivierter Mister Me sein Publikum zum Singen und Tanzen. Mit gerapten Pop-Liedern der Marke Ich trink auf dich waren er und seine vier Mitmusiker die hervorragenden Einheizer des Abends. Über die „Ohren wollte er sich sein Publikum erkämpfen“, obwohl ihn in Lübeck kaum einer bis dato kannte. Dies gelang der jungen Band aufs Beste, obwohl es ihr erster Auftritt in der Hansestadt war. Der Schweiß floss nicht nur beim Sänger in Strömen, sondern sorgte auch beim Tresenpersonal für Auftrieb, derweil sich viele die vertanzte Flüssigkeit in Form von Bier zurück in den Körper schütteten.

Es folgte mit Ticos Orchester eine weitere junge Band, diesmal aus Hamburg, die ihren schon fürs letzte Jahr angesagten Auftritt, der wegen Krankheit abgesagt werden musste, nachholte. Schick gekleidete Musiker mit Standbass, Akkordeon, Klarinette, Gitarre und Schlagzeug erzeugten einen Sound zwischen Balkan-Rap und Reggae-Pop mit deutschen Texten, der dem tanzfreudigen Publikum sofort in die Beine und Hüften ging. Titel wie Sonne, Mond und Schabernack oder Verrückt wurden zu Gehör gebracht. Der Stimmungspegel stieg und der Schweiß hatte keine Chance abzutrocknen. 

Dann kam die Zeit der großen „Bs“, auf die wohl die meisten im Publikum hinfieberten. Der grandiose Entertainer und Altvordere der Hamburger Schule, Bernd Begemann, betrat tiefenentspannt und ausgerüstet mit Rewe-Einkaufstasche die Bühne und hatte sofort einige Lacher auf seiner Seite, als er dieser diverse Kabel, Klanginstrumente und Spielsachen entlockte. Selbst eine gerissene A-Seite seiner Gitarre gleich zu Beginn seiner „Bernd Begemann Show“ konnte den grandiosen Unterhaltungskünstler mit den genialen Texten und der unbändigen Live-Qualität nicht aus der Ruhe bringen. Während Backstage helfende Hände die Gitarre wieder zurechtfummelten, intonierte Begemann mal eben a cappella den Nazi Tattoo Papa.

Bernd Begemann, Foto: Holger Kistenmacher

Unter dem Gejohle seiner Fans entblätterte sich der vollschlanke Künstler mehr und mehr und lief zu grandioser Unterhaltungsform auf. Wunschtitel aus dem Publikum wie Judith mach mal deinen Abschluss und andere Songs aus alten Zeiten, damals aus der „Kaiserzeit“, wie die selbst ernannte "Mariah Carey der deutschen Popmusik" herausplauderte, erfreuten die nachwachsende Jugend. Mit herrlichen Texten wie Sie fuhr einen lila Twingo und anderen geistreichen Einwürfen plauderte und rockte sich das Hamburger Original durch seinen humorvollen Auftritt, bis er vom Publikum mit donnerndem Applaus von der Bühne gelassen wurde, triefnass wie seine Anhängerschaft. Also erst mal noch ein Bier, bis der Stargast des Abends kommt. 

Mit Bela B, bürgerlich Dirk Albert Felsenheimer, hatte sich eine Punk-Ikone angesagt. Allerdings war der berühmte Schlagzeuger der Ärzte diesmal eher zum Swing-Dandy mutiert und präsentierte mit seiner neuen Begleit-Band, den Hamburger Musikern der Danube´s Banks, einen Auftritt, der so einzigartig wie vermutlich selten zu sehen sein wird. Die B-Nube´s, wie sich die illustre Formation aus bunt gestylten Gypsy-Musikern und dem stilsicheren Dandy Bela B nannte, hatte sich Lübeck ausgesucht, um das neue Band-Projekt einmalig auszuprobieren. Los ging es mit zwei akustischen Stücken der ehemaligen Straßenband, die mit zwei Gitarren, zwei Bläsern, Schlagzeug und Akustik-Bass ordentlich swingten und groovten.

Dann erschien breit grinsend ein aufgerüschter Bela B mit Anzug, silbernen Glitzerschuhen und Silberlocke im gestriegelten Haar und genehmigte sich erst mal einen Cocktail vom extra für ihn bereitgestellten Beistell-Tischchen mit Getränk und Käsespießen. Elegant und gönnerhaft gestaltete der Swing-Dandy den ausklingenden Abend mit bekannten Stücken wie Perfekt aus seinen verschiedenen Solo-Projekten jenseits der Ärzte. Welch legendärer Abend. Liebe Macher des Junge Stereopark Festivals: Von der Live-Qualität und der Vielschichtigkeit hätten wir gerne mehr. Vielleicht ja schon im August, wenn es zur nächsten Ausgabe des Events im Strandsalon kommt.

Fotos: (c) Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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