Musik für den emotionalen Herbst
Jamie Woon "Making time"

Das inzwischen zweite Album des leider immer noch relativ unbekannten britischen Ausnahmetalents Jamie Woon ist endlich auf dem Markt. Jamie Woon lässt sich Zeit für seine Musik. Nachdem die Debüt-EP Wayfaring Stranger 2007 erschien, brauchte er vier Jahre, um das erste komplette Album Mirrorwriting 2011 zu veröffentlichen. Für Making Time gingen wiederum vier Jahre ins Land, aber das Warten hat sich wirklich gelohnt.

Der 1983 in London geborene Musiker ist musikalisch durch seine Familie geprägt. Die Mutter war u.a. Backgroundsängerin bei Kylie Minogue, der Vater gehört der Alex Harvey Band an. Da lag es wohl auf der Hand, dass Jamie Woon, Schüler der BRIT School for Performing Arts, ebenfalls zur Musik kam und bereits im Alter von 15 Jahren einer Band angehörte.

Making Time klingt im Gegensatz zum Vorgänger weniger elektronisch und wurde mit mehreren Studiomusikern eingespielt. Einer dieser Musiker ist der US-amerikanische Singer/Songwriter Willy Mason, der bei Celebration den Gesangspart übernahm und auch als Komponist Songs für das Album beisteuerte.

Zwei Wochen vor Veröffentlichung gab es zwei Tracks zum Herunterladen und Reinhören. Die beiden Songs machten mich sofort neugierig auf das gesamte Album. Musikalisch ist es in keine Kategorie zu packen. Was auch überhaupt nicht nötig ist. Während Message an Hall & Oates in den 80ern erinnert, klingt Sharpness nach dem typischen, groovigen R&B der 90er. Es gibt eine breite Palette aus verschiedenen Musikrichtungen und Jahrzehnten. Bei Thunder lässt Woon sogar ein wenig den Funkjazz in seine Musik einfließen.

Die Geschichte der Popmusik gründet u.a. auf dem Einfluss der Bluesmusik. Jamie Woon ist ein Fan des Blues, was auf Making Time definitiv herauszuhören ist. Auch die 70er Jahre finden statt, denn mein derzeitiger Favorit Dedication erinnert mich an die ruhigen Songs von "The Police". Dem Musiker gelingt es leicht, die verschiedenen Musikstile zu einem hörenswerten und runden Stück Musik zu verbinden, ohne dass es irgendwann einmal langweilig wird. Seine klare, facettenreiche Stimme unterstreicht die entspannte Ausstrahlung der Musik. Das Album passt mit seinem Sound in die herbstliche Stimmung, lässt einen in die verschiedenen Klangfarben eintauchen. Leider sind die zehn Songs fast zu wenig und beenden das Album bereits nach einundvierzig Minuten.

Jamie Woon verleitet dazu, einen relaxten Abend vor der Anlage oder dem Soundsystem der Wahl zu verbringen und zuzuhören. Wenn Sie nach dem Durchhören von Making Time Lust auf mehr „Ohrenfutter“ von Jamie Woon haben, empfehle ich unbedingt das erste Komplettwerk Mirrorwriting. Eingespielt mit weniger Instrumenten und einem Loopgerät zur Unterstützung seiner Stimme, klingt es fast sphärisch und geht sowohl musikalisch als auch textlich einfach unter die Haut. Night Air, die erste Single, ist hier mein absoluter Favorit. Ich hole dieses Album zu dieser Jahreszeit immer wieder hervor, denn ich mag die Stimmung darauf extrem gern.

Jamie Woon geht mit Making Time 2016 auf Tour. Dies aber fast ausschließlich in England und leider noch nicht in Deutschland. Mein Fazit: Wer einmal etwas anderes als das „Übliche“ fernab vom Radio durch seine Lautsprecherboxen dringen lassen will, der ist hier richtig. Für mich ist es eines der besten Alben des Jahres 2015.

Jamie Woon: Making Time, Polydor (Universal Music), November 2015


Sabine Vierus
Sabine Vierus
Gebürtige Lübeckerin (1971), seit 2016 die Landeshauptstadt Kiel als neue Heimat gewählt. Ausgeprägte Leidenschaft für Musik seit sie laufen kann. Das umfangreiche Musikwissen hat sie als Kauffrau über zwanzig Jahre im CD-Vertrieb an ihre Kunden weitergegeben. In der Freizeit oft mit der Kamera unterwegs; schreibt einen eigenen Blog. Schwerpunktthemen für "unser Lübeck": Musik- und Konzertrezensionen.

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