Juli Zeh "Schilf"
Buchpräsentation in der Oberschule zum Dom

Lesung 2 +, Ambiente 4 – … Was vorgelesen wird, muss vor allem gut zu hören sein. Wie ist es da bloß möglich, dass offenbar vor Beginn der Veranstaltung kein richtiger Sound-Check gemacht wurde oder wenn doch, dann ohne die Hauptperson? Juli Zeh bemerkte sehr treffend, dass sie hinter der aufgebauten Technik ja buchstäblich verschwände, und rückte deswegen zu Beginn in wohlmeinender Absicht Lichtquelle und Mikro zurecht, was leider ein ziemlich beschwerliches Zuhören zur Folge hatte.

Völlig unbegreiflich, dass zu dem Zeitpunkt niemand eingriff, um diesen Missstand zu beheben, was durchaus möglich gewesen wäre, wie sich am Ende noch herausstellte. Dass die Aula der OzD darüber hinaus den Charme einer Turnhalle versprüht, lässt sich weniger leicht ändern. Dem erwarteten Ansturm der BesucherInnen – in der Tat vielleicht um die 400 – musste Tribut gezollt werden; da bot sich der Ort wohl an.

Juli Zeh, die derzeit im Rahmen der LiteraTour Nord auf Lesereise ist, versammelt bereits eine große Fan-Gemeinde hinter sich, und der ein oder die andere zählt sich seit gestern sicherlich dazu – trotz der unbarmherzigen Umgebung, die immerhin den äußerst angenehmen Nebeneffekt hatte, dass das Publikum mucksmäuschenstill den Worten der Vortragenden lauschte, ja lauschen musste, um nichts zu überhören. Es wäre auch schade drum gewesen. Bei Juli Zeh sitzt nämlich nicht nur jedes Wort am rechten Fleck, sondern auch ihre Stimme, die eine Zeit lang Gesangsunterricht genießen durfte. So wäre es normalerweise ein Genuss, ihr bei der Präsentation des neuesten Romans Schilf zuzuhören:

Ohne viel Umschweife werden wir mit einem der Hauptcharaktere des Buches vertraut gemacht und dürfen ihn auf einigen Stationen seiner Reise durch den Krimi, der aber nicht in erster Linie ein solcher sein soll, begleiten. Juli Zeh mag keine Formfestlegung. Ein Hauptanliegen der Autorin ist immer wieder die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Moral. Die Verpackung hingegen ist zweitrangig; sie ergibt sich eher beiläufig. In diesem Fall eigentlich nur dadurch, dass ein veritabler Kommissar namens Schilf in Erscheinung tritt, dessen Bild, wie Juli Zeh uns versichert, sie schon lange im Kopf gehabt habe, aber ganz ohne die Absicht, daraus einen Kriminalroman zu gestalten. Viel wichtiger war für dieses Werk das Aufgreifen der physikalischen Theorie von Parallelwelten und die daraus resultierende Frage, ob es überhaupt so etwas wie verantwortungsvolles Handeln gibt, wenn doch zu jeder Zeit in einer der anderen noch vorhandenen Welten genau das Gegenteil von dem geschehen kann bzw. geschieht, wozu wir uns hier und jetzt entscheiden. Werden wir dann nicht aus jeglicher Verantwortung entlassen und wo bleibt dann die so genannte Moral? Das Thema klingt kompliziert und ist komplex. Ganz im Gegensatz zu Juli Zehs Sprache: Da findet sich nichts Verschachteltes, Gekünsteltes, wissenschaftlich Verschraubtes, wohl aber viel Klarheit, sprachliche Verspieltheit, Wortwitz und -gewandtheit. Diese beiden gegensätzlichen Pole – die Schwere der Thematik und die Leichtigkeit der Sprache – bilden das eigentliche Spannungsfeld des Romans, das weit über das kriminalistische hinausgeht.

Kosten wir diese Spannung doch bis zum Ende aus. Lesen wir selber weiter und pfeifen auf den schlechten Ton! Das Ziel des Abends wäre damit erreicht.

Foto: (c) David Finck

Gerda Vorkamp
Gerda Vorkamp
Geboren 1958 in Herford, Lehramtsstudium, Angestellte im Fremdsprachendienst, freiberuflich tätig als Lektorin. Bei Unser Lübeck seit Beginn als Autorin und seit 2016 als Redakteurin dabei.

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