Für nur zwei Groschen und acht Gulden
Das Buch der Bücher in einer wohlfeilen Ausgabe

Ist die Bibel wirklich das Buch der Bücher? Sollte also jeder sie kennen, ganz gleich, ob gläubig oder nicht? Auch ein Atheist muss ja zugeben, dass sie unser Leben und unsere Kultur mehr geprägt hat als jedes andere Buch.

Sie erzählt uns älteste Geschichten aus der Anfangszeit der Menschheit, wurde von unzähligen Künstlern und Schriftstellern gelesen und ging in deren Bilder und Erzählungen ein. Schon deshalb sollte man sich mit ihr beschäftigen, aber auch noch zusätzlich deshalb, weil vieles in ihr nicht allein interessant, sondern schön ist, poetisch und berührend.

Für Jahrhunderte war die Bibel kaum jemandem zugänglich. Zunächst einmal waren sehr viele Menschen Analphabeten, aber dieses Buch konnten zusätzlich allein diejenigen lesen, welche die alten Sprachen beherrschten, und das waren oft genug nicht einmal die Priester. So war das Heilige Buch der Christenheit für lange, lange Zeit ein verschlossenes Buch. Es ist überhaupt nicht zu verstehen, dass so unendlich viel Zeit vergehen musste, bis sich am Ausgang des Mittelalters endlich verschiedene bedeutende Köpfe dazu aufrafften, sie in ihre Volkssprachen zu übersetzen und der Masse der Gläubigen zugänglich zu machen. Für Deutschland erledigte das ein gewisser Martin Luther. Eine große, eine revolutionäre Tat, an die im Jubliäumsjahr des Thesenanschlags der Taschen-Verlag erinnert, indem er den ebenso erschwinglichen wie außergewöhnlich schönen Nachdruck der Lutherbibel von 1534 vorlegt.

Es handelt sich bei dieser Prachtausgabe um einen seitengetreuen Nachdruck der Bibel von 1534, die sich in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar befindet; der Bibliotheksstempel gehört deshalb ebenso zu dieser Edition wie einige Flecken und andere kleine Beschädigungen des ansonsten sehr gut erhaltenen Originals.

Es sind zwei Bände, gebunden in dunkelbraunes Leinen mit dem erhaben gesetzten, weiß und schwarz eingefärbten Titel „Biblia das ist die gantze Heilige Schrifft Deutsch. Mart. Luth. Wittemberg“. Die schwarzen gotischen Lettern des Fließtextes werden von einem hellen Ocker grundiert, auf dem sie sich gut abheben. Darüber hinaus finden sich zahllose farbige Holzschnitte, und auch die Initialen an den Anfängen der Bücher und Kapitel sind eingefärbt. Schon allein dieser Abbildungen wegen ist der Foliant eine einzige Freude für das Auge.

Gesetzt wurde diese Edition nicht wie spätere Ausgaben oder auch handschriftliche Exemplare des Mittelalters in zwei Spalten, sondern nur in einer einzigen. In welcher Weise die Ausgabe von 1534 an mittelalterliche Bibeln anknüpft und inwiefern sie sich von ihnen und späteren Ausgaben unterscheidet, darüber wie über die nicht seltenen Versuche einer Übersetzung in andere Volkssprachen des 15. und 16. Jahrhunderts informiert in sachlich-gedrängter Form der Buchwissenschaftler Stephan Füssel. Seine kulturhistorische Einführung ist das dritte, großzügig illustrierte und auf Kunstdruckpapier gedruckte Buch dieser Edition, ein Paperback, aus dem wir auch manches über die Übersetzungsleistung Luthers erfahren.

Luther muss ein Arbeitstier gewesen sein, aber nicht einmal dieser Berserker konnte die ganze Bibel auf einmal übersetzen, sondern zunächst nur das Neue Testament. Nicht ohne die Hilfe von Freunden, zu denen natürlich vor allem Philipp Melanchthon zählte, übertrug er später den Riesencorpus des Alten Testaments.



In seinem Sendbrief vom Dolmetschen hat sich Luther gegen die Kritik an seiner eigenmächtigen Einfügung eines einzigen Wortes in seine Übersetzung des Römerbriefes gewehrt. Hier ist es nicht wichtig, wie er seine Übertragung dieser Stelle rechtfertigt, obwohl diese Schrift nach der Ansicht von Theologen so eine Art Gründungsdokument des Protestantismus geworden ist. Sondern hier kommt es darauf an, wie er sein Selbstverständnis als Übersetzer formuliert. Zunächst einmal wollte er, dass alle die Bibel lesen können, dass also dank seiner Arbeit „viel einfeltige Christen, auch untern gelerten, ßo der Hebreischen unnd Grekischen sprache nit kundig“, sich mit dem Text der Bibel beschäftigen können; und dafür allein sollten ihm seine Zeitgenossen dankbar gewesen sein.

Denn es war unfassbar schwere Arbeit. „Und ist uns wol offt begegnet, das wir viertzehen tage, drey, vier wochen haben ein einiges wort gesücht und gefragt, habens dennoch zu weilen nicht funden.“ Er selbst gibt ein schönes Beispiel dafür, und zwar geht es um die Übersetzung von Matth. 12, 34 / Luk. 5, 45. Die wörtliche Übersetzung hätte gelautet: „Auß dem uberflus des hertzen redet der mund.“ Nein, das gefiel dem Reformator nicht, und so fragt er: „Sage mir, Ist das deutsch geredt? Welcher deutscher verstehet solchs? Was ist uberflus des hertzen fur ein ding? Das kan kein deutscher sagen, Er wolt denn sagen, es sey das einer allzu ein gros hertz habe oder zu vil hertzes habe, wie wol das auch noch nicht recht ist.“ Er diskutiert noch andere Möglichkeiten, bis es ihm endlich so zu schreiben gelingt, wie „die můtter ym haus und der gemeine man“ sprechen, und seine Übersetzung ging in unser aller Deutsch ein: „Wes das hertz vol ist, des gehet der mund uber, das heist gut deutsch geredt, des ich mich geflissen, und leider nicht allwege erreicht noch troffen habe.“



Wirklich, Luther war ein Genie, und ein fleißiges dazu. Trotzdem brauchte er zwölf lange schwere Jahre für seine Übersetzung. Bevor endlich die erste Gesamtausgabe der Bibel erscheinen konnte, veröffentlichte er deshalb nach und nach Ausgaben der einzelnen Bücher.

„Zwischen 1522 und 1546“, schreibt Füssel, „kann man 430 Teil- und Gesamtausgaben nachweisen, so dass mit etwa einer halben Million (!) Lutherbibeln bis zur Jahrhundertmitte gerechnet werden kann.“ Die Gesamtausgabe von 1534 kostete übrigens zwei Groschen und acht Gulden. Für uns klingt das nicht viel, aber es muss für den einfachen Mann und auch für einen Pastor außerordentlich viel Geld gewesen sein. Angesichts dieses Preises und der im Vergleich zu heute so viel kleineren Bevölkerung war die Auflage geradezu unfassbar groß und hat Füssels Ausrufezeichen mehr als verdient.

Immer wieder verblüffend ist die überwältigende Schönheit der ältesten aller gedruckten Bücher. Das gilt bereits oder sogar besonders für die lateinische Gutenberg-Bibel. Von Füssel kann man erfahren, dass die Drucker des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts nicht nur den Text von alten Handschriften übernahmen, sondern auch deren Form, so dass wir eigentlich die Schönheit von Handschriften genießen. Übernommen wurde also die „gotische Buchschrift, die Textura“, die Seiten sind wie bei einer Handschrift in zwei Kolumnen geteilt, und schließlich wurden die Initialen und Randleisten in einem zweiten Arbeitsgang hinzugefügt.



Dass die farbigen Holzschnitte über den Satzspiegel hinausstehen, ist zweifellos ein Schönheitsfehler, fällt aber bei der Lektüre kaum auf. Weil kein Geringerer als Lucas Cranach an der Produktion dieser Bibel beteiligt war, sind die Holzstiche durchweg von ebenso hoher künstlerischer wie handwerklicher Qualität. Allerdings, Cranach ist wohl höchstens für einen Teil der Stiche verantwortlich. Wahrscheinlich hat Luther selbst einige von ihnen konzipiert.

Füssel verweist darauf, dass die Stricheltechnik bereits so weit fortgeschritten war, dass man gut auf die Einfärbung der Bilder hätte verzichten können. Denn die Stiche hätten auch ohne Farbe die Tiefe des Raumes und damit die Perspektive vermitteln können. Aber gefärbt wurde trotzdem, und zwar kräftig, so dass der dankbare Leser eine Bibel in leuchtenden Farben in Händen hält.

Der Protestantismus der Anfangsjahre war dem Bild nicht gewogen, und es gab durchaus Bilderstürmerei, nicht zuletzt in seiner Gründungskirche, in St. Marien in Wittenberg. Trotzdem ließ Luther die Bibel großzügig illustrieren, „syntemalen sie an den wenden ia so wenig schaden als ynn den büchern“. Keinesfalls wollte er zu denen gehören, die „den bilden so feynd sind“.



Und was ist nun mit der Lektüre? Birgt das Frühneuhochdeutsche im Verein mit der gebrochenen Schrift und einer gewöhnungsbedürftigen Rechtschreibung größere Schwierigkeiten? Als halbwegs moderner Mensch habe ich den Text der Lutherbibel seit vielen Jahren auf CD und zitiere immer und ausschließlich danach – einfach der größeren Kraft und Schönheit der Sprache wegen. Denn es ist kein gerechtes Deutsch und keinesfalls so blass und langweilig wie moderne und wahrscheinlich korrektere Übertragungen.

Nicht an jeder Stelle ist die Sprache Luthers sofort zu verstehen, aber lange braucht man nie, und im Notfall ist eine moderne Übersetzung immer schnell zur Hand. Jetzt las ich als erstes das kürzeste aller Bücher des Alten Testaments, die Erzählung von Ruth, der Moabiterin, die fremd ist unter den Juden. Dieser Satz zum Beispiel ist sehr leicht zu verstehen (Ruth 2, 10): „Wo mit hab ich die Gnade funden fur deinen augen / das du mich erkennest / die ich doch Frembd bin.“ Es gibt gewiss schwierigere Passagen, aber lesbar sind sie eigentlich alle.

Das Buch Ruth hatte ich mir vorab vorgenommen, seiner Kürze und Thematik wegen. Eigentlich ist es ja gar keine religiöse Erzählung, sondern eine moralische, die dem Leser den Anstand, das Mitgefühl und die Herzensgüte einfacher Menschen vor Augen führt. Schon als kleiner Junge habe ich diese kleine Geschichte gekannt, denn sie befand sich in der illustrierten Kinderbibel des kleinen Johannes, und der eifrigen Lektüre dieses Büchelchens hat dieser zwar nicht seinen Glauben zu verdanken – den gibt es bis heute nicht –, wohl aber eine gewisse Kenntnis der alten Geschichten. Als wir vor unserer Konfirmation der Gemeinde vorgestellt wurden, um einige leichte Fragen zur Bibel zu beantworten, war der fünfzehnjährige Johannes tatsächlich der einzige, der gelegentlich den Schnabel aufmachte und Auskunft zu geben wusste, und ein erstes und vielleicht auch letztes Mal ruhte der Blick des Pastors mit ein wenig Wohlgefallen auf ihm.



Die Apokalypse dagegen lockte erst den alt und müde gewordenen Johannes, aber nicht vor dem Moment, in dem er das Buch in Händen hielt und „Die Offenbarung Sanct Johannis“ besonders reich illustriert fand: jedes Kapitel mit einem fast die Hälfte der Seite einnehmenden Holzstich, der den verschiedenen Gesichten Gestalt verleiht, und natürlich wunderbaren Initialen, in diesem Fall (wie auch sonst sehr häufig) in einem leuchtenden Blau:
„DJs ist die Offenbarung Jhesu Christi / die jm Gott gegeben hat / seinen Knechten zu zeigen / was in der kürtz geschehen sol / Vnd hat sie gedeutet / vnd gesand durch seinen Engel / zu seinem knecht Johannes / der bezeuget hat das wort Gottes / vnd das zeugnis von Jhesu Christo was er gesehen hat. Selig ist / der da lieset / vnd die da hören die wort der Weissagung / vnd behalten was darinnen geschrieben ist / denn die zeit ist nahe.“ Wie man sieht, fehlt in der Ausgabe von 1534 noch die Zählung der Verse, die sich erst in der Ausgabe letzter Hand von 1545 findet.

Was nicht fehlt, ist die Vorrede auff die Offenbarung Sanct Johannis, sind also die Erläuterungen Martin Luthers. Die Apokalypse galt ja immer und zu allen Zeiten als ein besonders fragwürdiges Kapitel, das es nur ganz knapp in den Corpus der kanonischen Texte brachte, und so sah sich der Reformator zu einigen Deutungen und Verständnishilfen genötigt, die natürlich nur aus seiner Zeit heraus zu verstehen sind und nicht ganz unerwartet einige passende Kernsprüche über das „bepstliche Keiserthum vnd keiserliche Bapstum“ enthalten. „Weil wir aber dennoch gerne die deutung oder auslegung gewis hetten / wollen wir den andern vnd höhern Geistern vrsachen nach zudencken geben / vnd vnser gedancken auch an tag geben / nemlich also. Weil es sol eine Offenbarung sein künfftiger Geschicht / vnd sonderlich künfftiger trübsaln vnd vnfal der Christenheit / Achten wir / das solte der neheste vnd gewisseste griff sein / die Auslegung zu finden /“



Egon Friedell hat viele lobende Worte über Luther gefunden; dem Reformator, schrieb er, sei es „gelungen, mit seiner in jederlei Sinn verdeutschten Bibel das deutscheste Buch der deutschen Literatur zu schreiben“. Aber Friedell hat auch deutlich gemacht, dass er Luther für einen Ignoranten hält, was sein Verhältnis zu Literatur und Poesie angeht. Und es ist ja wirklich wahr, dass wir moralisierende Fabeln und wüste Polemiken nicht mehr unter Literatur abheften, wie es das 16. Jahrhundert tat. Kein Mensch unserer Zeit erwartet wie Luther und seine Zeitgenossen, dass ein Dichter ihm Moral eintrichtert, vielleicht gar in didaktischer Weise. Aber es scheint ungerecht, das Luther vorhalten zu wollen, denn es war das Vorurteil der Zeit, nicht sein persönlicher Irrtum.

Doch, Luther verstand viel von Dichtung. Die Kraft der Sprache, das Feilen am Stil, das Suchen nach lebhaften und bildkräftigen Ausdrücken gehört ebenso zur Literatur, und eben auf diesem Gebiet hat sich der Reformator im Wortsinn unsterblich gemacht und im Schweiße seines Angesichts und dank seines Ohrs für die Sprache des Volkes unzählige Redewendungen und Neologismen geschaffen. Dazu kommt noch etwas anderes: Für seine Übersetzung charakteristisch ist, wie Füssel erläutert, die „Einfügung modaler Partikel wie ‚allein, doch, eben, nur, nun, schon‘ usw.“, die mit anderen Stilmitteln zusammen den Text rhythmisieren, ihn der gesprochenen Sprache angleichen und so seine Wirkung immens verstärken. Auch der heutige Leser kann sich dem Sog einer so sprachgewaltigen Übersetzung kaum entziehen.

Auf die Frage nach dem wichtigsten Buch der Weltliteratur antwortete ein gewisser, nicht eben frommer Stückeschreiber: „Sie werden lachen, die Bibel!“ Auch der Rezensent ist nicht fromm, aber die Bibel hat er seit seinen Kindertagen oft gelesen und wird es jetzt wieder tun. Und dank einer wunderschönen Ausgabe sicherlich mit größerem Vergnügen als je zuvor. Wie schrieb Luther in seinem Sendbrief? 
„Wers nicht lesen wil, der las es ligen, ich bite und feyre niemandt drumb.“

Biblia. Die Luther-Bibel von 1534. Vollständiger Nachdruck. Aus der Werkstatt von Lucas Cranach. Einführung Stephan Füssel. Taschen 2017.

Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen Prosa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR und Buchstabe erhältlich.


Kommentare  

# Meine BibelChr. Schmidt (02.11.2017, 17:52)
Ein beeindruckender Artikel über ein Buch, das mehr als ein Bestseller ist. Seit dem Erstdruck durch Martin Luther haben viele Menschen durch die Bibel Orientierung, Lebenssinn, Stärkung und besonders wichtig, die unendliche Liebe Gottes erfahren. Gerade in diesem Jahr ist die neue revidierte Lutherbibel erschienen, die zu meiner täglichen Lektüre und Erbauung gehört. Zu meinem Bücherschatz gehören auch mehrere Familienbibeln, die besonders den Kindern helfen, biblische Geschichten zu verstehen. So war es wohl auch zu Luthers Zeiten, als ein ganz neues Glaubensverständnis entstand und jeder die Frohe Botschaft Gottes erfassen konnte. Die wunderschönen Illustrationen halfen dabei. Mögen noch viele Menschen das Geheimnis der Bibel für ihr Leben erkennen.

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