Rolf & Cilla Börjlind, Foto: (c) Thron Ullberg

Cilla & Rolf Börjlind
"Schlaflied"

Das schwedische Drehbuch- und Autorenduo Cilla & Rolf Börjlind hat nun den vierten Band „Schlaflied“ um das Ermittlerteam Olivia Rönning und Tom Stilton veröffentlicht.

Von Titel zu Titel gewinnen die beiden so unterschiedlichen Charaktere von Olivia und Tom zunehmend an Tiefe. Wir können uns erinnern, dass in dem Erstlingswerk „Die Strömung“ Olivia noch inmitten der Polizeiausbildung war und Tom Stilton als Obdachloser auf der Straße lebte. Beide Figuren sind innerlich sehr zerrissen. Olivia, die sich und andere ständig infrage stellt, und Tom Stilton, ein ehemaliger Kommissar, dem viel zu viele innere Dämonen zusetzen. Beide sind Einzelgänger, einsame Wölfe mit wenig sozialen Kontakten und Bindungen, die schwer jemandem vertrauen. Dennoch sind sie willensstark, egozentrisch, und Vorschriften und Gesetze interpretieren sie gerne mal als auszubauende Richtlinien.

Im vierten Band „Schlaflied“ ist Olivia festes Teammitglied der Mordkommission um ihre Chefin Mette, und Tom Stilton lebt inzwischen auf einem Hausboot, in einer festen Partnerschaft und will wieder zurück in sein altes Leben als Kommissar. In den vorliegenden Romanen gibt es noch ein paar Satellitenfiguren, die zur Lösung der Fälle ebenfalls mehr oder minder behilflich sind. Auch diese Nebenfiguren, die Kommissarin Mette Olsäter und der ehemalige kleinkriminelle Abbas, ein talentierter Messerwerfer, entwickeln sich parallel mit den Storys. Dass das Autorenduo den Charakteren dermaßen viel Platz in ihrer Entwicklung einräumt und wie sie diese durch wohlplatzierte Nebengeschichten ausbaut, ist extrem gut gelungen.

Die Hauptstory in „Schlaflied“ ist hochaktuell und leider allzu realistisch. Dass Flüchtlinge für kriminelle Gruppierungen und Elemente quasi vogelfrei sind, wirkt nicht überraschend, eventuell würde sie niemand vermissen, am wenigsten die Behörden, die sowieso schon überlastet sind und verzweifelt versuchen, diese Menschen systemseitig zu erfassen. Aber warum und wohin verschwinden diese Menschen, die verängstigt sind, zum Teil minderjährig und sich aufgrund der Sprachbarrieren schwerlich verständlich machen können!? Tom Stilton und Olivia Röning fangen an zu ermitteln, als Kinderleichen gefunden werden. Offensichtlich wurden die Opfer schwer misshandelt und dann wie Dreck beseitigt. Die Ermittlungsgruppe, die schon vieles an Grauen und Misshandlungen gesehen hat, ist über die Brutalität erschüttert. Die ersten Spuren führen Tom und Olivia nach Bukarest in Rumänien.

„Schlaflied“ ist einer der wenigen Thriller, die nicht nur über eine fantastische Spannung auf jeder Seite verfügen, sondern katapultieren den Leser in grauenhafte, menschliche Abgründe, die nicht vorstellbar sind, aber höchstwahrscheinlich doch in Europa aktuell vorkommen. Diese Aktualität, vermengt mit starken Charakteren und persönlichen Nebengeschichten, ist schlicht und einfach großartig in Szene gesetzt. Die Geschichte geht wahrlich unter die Haut, sie umzingelt den Leser und lässt ihn bis ans Ende der Handlung nicht aus seinen Fängen. „Schlaflied“ führt uns in einen umnebelten Albtraum, und am Ende kann es sein, dass der eine oder andere Leser das Buch sprachlos auf die Seite legt, tief durchatmen muss und um sich abzulenken zu einer Folge „Sandmännchen“ greift.

„Schlaflied“ ist für mich der emotionalste Thriller um Rönning & Stilton und einer der wenigen, von denen man sagen muss, dass sie nachwirken und man nach der Lektüre nicht einfach so zum Tagesgeschäft übergehen kann, denn das Grauen und die Traurigkeit haben uns ein wenig ver- und entführt. Für mich nicht nur der beste Thriller in diesem ersten Quartal des Jahres 2017, sondern sicherlich einer der besten, die ich je gelesen habe. Prädikat: unheimlich wertvoll. 

Cilla & Rolf Börjlind: Schlaflied, btb Verlag, 20. Februar 2017, 576 Seiten.

Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTURBuchstabe und auf Amazon erhältlich.


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