Astrid Fritz
Unter dem Banner des Kreuzes

Die Kreuzzüge sind immer wieder Thema von historischen Romanen. Im Gleichklang fallen dann Namen und Orte wie zum Beispiel: König Richard Löwenherz, Saladin, Jerusalem, der Heilige Gral usw. Nach mehreren verlustreichen Kreuzzügen, die faktisch als verloren und unsinnig feststehen, waren die Königshäuser Europas, der Adel und die einfachen Ritter eher unmotiviert, noch einmal das Kreuz zu nehmen und nach der Maxime „Gott will es so“ gen Jerusalem zu reisen.

Die wenigen Menschen, die von den Kreuzzügen zurückkehrten, waren traumatisiert und wollten nichts mehr von Gottes Willen und dem großherzigen Erlassen von Sünden hören. Nach diesen desaströsen Verlusten und einer Ernüchterung ging die Kirche in Rom davon aus, dass das Grab Christi nicht mit Waffengewalt zurückerobert werden könnte.

Im Jahre 1212 sammelten sich um den einfachen Hirtenjungen Nikolaus Hunderte von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ihm sei ein Engel erschienen, hieß es, der ihn aufgefordert habe, das Heilige Grab von den ungläubigen Sarazenen zu befreien.

Die in Stuttgart lebende Autorin Astrid Fritz erzählt in ihrem aktuellen Roman Unter dem Banner des Kreuzes die Geschichte des Kinderkreuzzuges. In Freiburg schließen sich mehrere verzweifelte Jugendliche, darunter auch die 17-jährige Anna, den Heerscharen junger Leute an, deren Ziel es ist, das heilige Jerusalem zu befreien. Unter fröhlichem Gesang biblischer Lieder und Gebete zieht der Kreuzzug gen Mittelmeer. Hier, so prophezeit der junge idealistische Führer Nikolaus, soll sich das Meer vor den frommen Pilgern teilen und dies der Weg ins Gelobte Land sein.

Als Mensch im 21. Jahrhundert ist man oftmals sprachlos, wenn man von solcher Naivität und blindem Glauben liest. Zu fremd erscheinen die Gedankengänge und Motive der Pilger und lassen sich nur schwer begreiflich machen. Doch die Menschen im 13. Jahrhundert, insbesondere jene aus der armen Bevölkerung, hatten neben einem festen Glauben einen gehörigen Respekt, gar Angst vor der Hölle und dem Fegefeuer. Gerade die sozial schwachen Menschen, die Ausgegrenzten, Hilflosen und Bettelarmen – für sie waren solch prophetische Aussagen und Parolen Gottes Gesetz. Sie glaubten daran, dass Gott ihnen ihre Sünden durch einen Kreuzzug erließ und sie ins paradiesische Himmelreich führte. So weit, so verklärt gut.

Die Autorin beschreibt sehr eindrucksvoll, welche Gefahren und Entbehrungen diese Kinder eingingen. Ohne viel Proviant oder Kleidung zum Wechseln, ohne Decken und Vorräte, einzig allein geführt durch ihren festen Glauben machten sie sich auf. Auch wenn vielerorts die Menschen in Städten und Dörfern die Pilger durch Essen und Unterkunft unterstützten, so ist es nachvollziehbar, dass auf solch einer Reise Opfer zu beklagen waren. Hunger, Krankheiten, Unfälle – es müssen viele Menschen daran gestorben sein. Die historischen Quellen alleine geben allerdings nicht viel Auskunft über diese Unternehmung.

Unter dem Banner des Kreuzes erzählt von dem Aufbruch, der Reise und der Rückkehr der Kinder, denn natürlich weiß ein jeder, dass das Meer sich nicht geteilt hat. Genua war also das Ende dieser kindlichen Expedition ins Gelobte Land. Astrid Fritz erzählt die Handlung aus der Perspektive einer kleinen Gruppe aus Freiburg. Einige Kinder, ein Knappe und Beschützer von Nikolaus und Konrad, ein angehender Priester mit deutlich kritisierender und mahnender Stimme, sind die Hauptfiguren des Romans. Die Autorin beschreibt sehr deutlich und vor allem eindringlich, dass es Menschen gab, die dieser Unternehmung mehr als kritisch gegenüberstanden, viele hielten die Kinderschar für verrückt, beschimpften ihren „göttlichen“ Führer und forderten sie auf, schnellstens umzukehren.

Unter dem Banner des Kreuzes ist kein Kreuzzugroman, in dem viel gekämpft und getötet wird. Hier gibt es nur sehr wenige Kapitel, in denen zum Schwert gegriffen wird. Doch die Autorin weist den Leser recht schnell darauf hin, dass Wörter zu Waffen werden können. Die Handlung konzentriert sich auf die situativen Entscheidungen der kleinen Gruppe, auf Hilfs- und Opferbereitschaft und nicht zuletzt auf das Eingeständnis: "Zum Teufel, was haben wir nur getan!?" Ohne wilden Aktionismus verfügt der Roman über eine dichte Atmosphäre, die sensibel und kristallklar aufgebaut ist. Der Leser pilgert quasi selbst in der Handlung und fiebert mit, wer denn wohl dieses Kapitel von „The Walking Dead“ überlebt.

Fazit: Unter dem Banner des Kreuzes ist ein anderer, aber ein besonderer Kreuzzug-Roman. Astrid Fritz erzählt von einer großen Katastrophe mit kleinen Menschen – dabei stehen nicht Krach und Gewalt im Mittelpunkt, sondern viel Leid und Nächstenliebe. Die Autorin gibt diesem Roman viel individuelle Tiefe mit. Die historische Quellenlage ist sprichwörtlich schon versiegt. Feinfühlig, wie die Autorin es schon in ihren letzten Romanen gezeigt hat, ist Unter dem Banner des Kreuzes ein kleiner Aufschrei und ein kluger Fingerzeig, nicht allen Parolen und Befehlen religiöser Fanatiker Folge zu leisten. Ein Buch für stille Stunden – aber mit nachhaltiger Stimme. Bravo.

Astrid Fritz: Unter dem Banner des Kreuzes, Wunderlich Verlag, Juli 2016, 448 Seiten

Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen 
BuchfinkArno AdlerLangenkampmaKULaTUR und Buchstabe erhältlich.


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