Foto: (c) Jakob Ganslmeier

European Exhibition Award 03 in den Deichtorhallen
Grenzen verschieben - Shifting Boundaries

„Shifting Boundaries“ (Grenzen verschieben) war das diesjährige Thema für den Europäischen Fotografen-Wettbewerb der - seit nun mehr drei Jahren von vier europäischen Stiftungen unterstützt - zwölf herausragenden jungen Fotografinnen und Fotografen professionelle Arbeitsbegleitung und Ausstellungsmöglichkeit ermöglicht.

Vier Länder (Deutschland, Portugal, Italien und Norwegen) kuratieren den Wettbewerb und zeigen anschließend die Ergebnisse in Hamburg, Lucca, Paris und Oslo. Ausgewählt wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Ingo Taubhorn, Kurator des Hauses der Photographie Deichtorhallen Hamburg, dem norwegischen Fotografen Rune Eraker, dem Soziologen und Kurator Sérgio Mah aus Portugal sowie dem künstlerischen Leiter des italienischen Photolux Festivals in Lucca, Enrico Stefanelli. Jeweils drei junge Fotografen konnten von ihnen benannt werden und wurden dann in ihrer jeweiligen Projektarbeit unterstützt.

Dass das Thema, das bereits vor drei Jahren aufgestellt wurde, heute so viel Aktualität entwickeln würde, darauf waren die Kuratoren nicht bedacht, sondern es ging ihnen vordergründig darum, Grenzen zu erfahren, zu erkennen und aktiv und passiv damit umzugehen, wie Ingo Taubhorn bei der Eröffnung der Schau betonte. Wobei das Wort "Grenze" Zusammenhänge aus fünf unterschiedlichsten Bedeutungsebenen herausstellen sollte: Geografie, Politik, Soziales, Psychologie und Medien.

Herausgekommen ist eine Foto-Ausstellung, die unterschiedlicher kaum sein könnte. Die zwölf Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus neun Ländern zeigen ihre Fähigkeiten in der Kommentierung des Themas aus verschiedensten Blickwinkeln und mit den unterschiedlichsten fotografischen Techniken. Während Arianna Arcara die letzte geteilte Stadt der Welt (Nicosia auf Zypern) als Ort des Stillstandes porträtiert, hat ihr italienischer Landsmann Pierfrancesco Celada die Ranggebiete zwischen Urbanität und Natur des Großraumes Mailand in den Blick genommen.

Die beiden deutschen Vertreter Robin Hinsch und Christina Werner haben sich auf politische und kriegerische Grenzen positioniert. Während der Hamburger Hinsch das Konfliktgebiet Ukraine von West bis Ost bereist hat und in 14 großformatigen Porträts und Landschaften zeigt, geht es in der Installation aus Collagen, Plakaten und Videoloops von Christina Werner („The boys are back“) um Rechtspopulismus und wiederkehrenden Nationalismus in Europa. Dagegen hat der dritte deutsche Teilnehmer Jakob Ganslmeier ein Land ausgewählt, das sich selbst als Grenzland versteht: Polen. In seiner Serie aus kleinformatigen Fotos (Lovely Planet) orientiert er sich an der populären Reisebuchpräsentation der Lonely Planet Bücher.

Wie unterschiedlich sowohl Fototechnik und Themenumsetzung sein können, zeigen die Arbeiten der beiden norwegischen Jungfotografen. Während Eivind H. Natvig an Hand eines gefundenen Fotoalbums aus den 50er Jahren die Notlage von geflüchteten Palästinensern in Norwegen heute erforscht, geht es bei den minimalistischen Arbeiten von Marthe Aune Eriksen um die Grenzgebiete von Stadt und Peripherie, Schatten und Licht.

Die Ungarin Ildiko Peter zeigt in ihrer Dia-Installation voller Grenzzäune und menschenleerer Landschaften den „neuen eisernen Vorhang“, der sich durch Europa zieht, seit Ungarn seine Grenze zu Serbien und Kroatien mit Stacheldraht dicht gemacht hat. Um die Auflösung des früheren Jugoslawiens dreht sich die Installation von Marie Sommer aus Frankreich, die sie aus geplünderten Bibliotheken vom Balkan zusammengestellt hat. Dafür hat sie sieben Länder bereist, die ehemals zu Jugoslawien gehörten.

Eine völlig andere Grenzüberschreitung erforscht die junge Fotografin Marie Hald aus Dänemark: Sie hat einen Sommer lang das Alltagsleben junger Frauen bei ihrem Kampf gegen Bulimie und Anorexie in Malawa in Polen begleitet. Den neuesten Entwicklungen aus dem Bereich virtueller Technologie hat sich die portugiesische Künstlerin Margarida Gouveia gewidmet, in dem sie Fragmente zweier Körper, verschiedene Objekte und einen Raum in digitale Daten umwandelt und auf eine Plattform überträgt.

Den wohl skurrilsten Ansatz von Grenzverschiebung hat wohl der junge Engländer Dominic Hawgood gefunden, indem er Grenzen zwischen dem Realen und dem Virtuellen hinterfragt. Dazu kommen sowohl computergenerierte Bilder zum Einsatz wie auch massiver Konsum von Pflanzen mit halluzinogenen Eigenschaften.

Die Ausstellung „Shifting Boundaries“ läuft noch bis zum 1.Mai 2017 im Haus der Photografie in Hamburg. Ein reich bebilderter Ausstellungskatalog von 192 Seiten kostet dort 20 Euro.

 

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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