Fotografische Tabubrüche in den Deichtorhallen
Böse Bilder von Ken Schles, Jeffrey Silverthornes und Miron Zownir

Armut, Drogen, Gewalt, Liebe, Sexualität und Tod sind die Themen der aktuellen Fotoausstellung im Haus der Photographie/ Deichtorhallen Hamburg.

Die drei Fotografen Ken Schles (USA, geb. 1960), Jeffrey Silverthornes (USA, geb. 1946) und der Deutsch-Ukrainer Miron Zownir (1953) gehören seit Jahren mit zu den radikalsten Künstlern ihrer Zunft. Ihr hauptsächliches Betätigungsfeld sind die Großstädte wie New York, Berlin oder Moskau, wo sie den gesellschaftlichen Phänomenen mit größtmöglicher Authentizität und Konsequenz im fotografischen Blick zu begegnen versuchen.

Wahrhaftigkeit und individuelle Subjektivität führen dabei zu künstlerischen Positionen, die an Radikalität und Härte kaum zu übertreffen sind. Kurator Ingo Taubhorn nennt die von ihm gemeinsam mit den teilnehmenden Künstlern gestaltete Ausstellung „einen Triumph der Dokumentar-Fotografie, weil sie authentisch und echt ist“. Niemals zuvor habe er eine so persönliche wie radikale Fotoschau gestaltet, die eine starke Intimität zwischen Fotograf und Sujet erfordert und persönliche Nähe im sozialen Raum zum abgelichteten Individuum voraussetzt. Zu sehen sind insgesamt ca. 450 Exponate, überwiegend Schwarz-Weiß-Aufnahmen, einige Farbabzüge, Polaroids und Filme. Die Schnittstelle der drei dokumentarischen Positionen der teilnehmenden Fotografen sind die urbanen Lebenswelten mit ihren Subkulturen der Großstädte zwischen New York, London, Berlin, Moskau oder an der mexikanischen Grenze.



(c) Miron Zownir

So stehen im Mittelpunkt des jüngsten Teilnehmers Ken Schles seine zwei Werkgruppen Invisible City und Night Walk, die der amerikanische Fotograf Ende der achtziger Jahre in New York fotografiert hat. Über zehn Jahre hat er sein persönliches Umfeld in der Lower Eastside als eine Art persönliches Tagebuch abgelichtet und dabei eine wegweisende Dokumentation urbanen Lebens mit Bildern geschaffen, die Außenstehende niemals zu Gesicht bekommen würden. Schles sehr dunkle, subjektive Sicht auf seine Hood aus Freunden, Künstlern, Boheme, aber auch Architektur, Verbrechen und Kriminalität erscheinen heute wie eine unersättliche Sammlung von Themen, Gedanken und Motiven und erzählt gleichzeitig von seiner verlorenen Jugend in der Großstadt.

Miron Zownir, 1953 als Sohn eines Ukrainers und einer Deutschen in Karlsruhe geboren, begann seine fotografische Karriere als Autodidakt, indem er im damals geteilten Berlin der siebziger Jahre die Punkbewegung und ihr „No-Future-Gefühl" ablichtete. Als 30-Jähriger emigrierte Zownir in die USA und lebte 15 Jahre unter anderem als Türsteher und Geldeintreiber in New York. Dabei erlebte er in den 1980er Jahren den Höhepunkt der sexuellen Befreiung Amerikas, kurz bevor Aids die ersten Todesopfer forderte. Als Poet einer radikalen Fotografie dokumentierte er Elend, Obdachlosigkeit und Drogensucht in seinem Umfeld und schuf dabei faszinierende Bilder hart an der Grenze des Erträglichen.

Mit seiner Serie über den damals offensiv schwulen Sexpier am Hudson River in New York, wo homosexuelle Männer frei und öffentlich ihrer Sexualität fröhnten, gelang ihm ein Zeitdokument längst vergangener Freiheit und Lust. Danach beschäftigte sich Zownir konsequent mit weiteren Tabus wie der Armut und dem Elend in urbanen Zentren Osteuropas. Gleichzeitig realisierte er als Drehbuchautor und Regisseur Kurz- und Langfilme, die ihn bis zu den Filmfestspielen nach Berlin brachten, wo er heute wieder als Romanautor, Filmemacher und Fotograf lebt.

Wer fotografiert, bezieht Stellung“ war schon immer das Credo von Jeffrey Silverthorne, dessen Werk durch die pointierte Darstellung von existenziellen Lebensfragen wie Identität, Liebe, Gewalt, Sexualität und Tod geprägt war und ist. Bereits in den 1970er Jahren sorgte der Amerikaner für Aufsehen, als er Bilder aus Leichenschauhäusern veröffentlichte, die verstörten, aber auch faszinierten. Es gelang ihm, mit seinen Aufnahmen den Tod in seiner Darstellung zu transzendieren. Weg vom Voyeurismus schafft es der Fotograf bis heute, die Grenzwelten der urbanen Gesellschaft in ihrer Körperlichkeit und Subjektivität zu dokumentieren. Egal ob in Portraits von Transsexuellen oder Transvestiten oder in Aufnahmen von illegalen Grenzgängern an der mexikanischen Grenze, immer wieder gelingt ihm der Blick auf gespaltene Persönlichkeiten und Parallel-Welten.


Jeffrey Silverthorne, Ken Schles und Miron Zownir

Die Faszination und Präsentation von Körpern in all seinen Facetten, nackt, bekleidet oder tot, sind ein immer wiederkehrendes Thema seiner Arbeiten, die er durch Überbelichtungen, Cutouts und malerische Techniken sogar noch überhöht. Trotz der meist harten Thematik seiner Bilder sucht Silverthorne mit seiner experimentalen Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie nach Empathie und Humanismus in seiner Arbeit. Auf diesem Weg taucht er auch immer tief in die eigene Psyche ab. „Jede Serie ist eine physische wie psychische Erfahrung. Ich mache Bilder, um mich an meine Gefühle und Reaktionen zu erinnern.“ Ein insgesamt schonungsloser Blick auf die Wirklichkeit, der häufig die Frage aufwirft, wie weit Bilder gehen dürfen. Entscheiden Sie selbst bei einem Besuch im Haus der Photographie in den Deichtorhallen in Hamburg.

Die Schau läuft noch bis zum 7. August 2016.
www.deichtorhallen.de

Fotos: Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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