Dirk Luckow, Brigitte Woischnik, Sarah Moon und Ingo Taubhorn

Poesie und Politik in den Deichtorhallen
"Sarah Moon" und "Streamlines"

Gleich zwei neue Ausstellungen bieten die Hamburger Deichtorhallen. In der Halle für Photographie wird eine der großen Bild-Erfinderinnen, die Französin Sarah Moon, mit einer umfassenden Retrospektive gewürdigt. Die 1941 geborene Photographin und Filmemacherin wuchs in England und Frankreich auf und begann ihre Karriere als Model sowie ab 1968 auch als Mode-Photographin, indem sie ihre Kolleginnen in Kleidern von Cacharell, Dior, Chanel oder Issey Miyake ablichtete.

Daneben drehte sie Kurz- und Dokumentarfilme sowie den Spielfilm Mississippi One. Ihre Photos zeichnen sich durch ihren fragilen, melancholischen Ausdruck aus. Oft in unscharfem Schwarz-Weiß oder in blassen Farben gehalten, erinnern die grobkörnigen, in Polaroid-Ästhetik mit Kratzern und Schäden behafteten Photos stark an Malerei. Mit der Malerin Ilona Suchinski, die einige Hintergründe erstellt hat, gibt es auch Kollaborationen.

Im Mittelpunkt der äußerst poetischen Schau stehen die Filme der scheuen, aber starken Künstlerin. Die fünf gezeigten Kurzfilme erweitern das Oeuvre von Moon ins Fantastische, Märchenhafte. Der Titel der Ausstellung Now and Then wurde von Sarah Moon extra gewählt, weil er die Gegenwart als auch die Vergangenheit und Zukunft repräsentiert. Angefangen in der Aufbruchzeit von Hippietum und Flower-Power, war die Mode für die Photographin nur ein erster Vorwand, in andere Realitäten vorzudringen. In spielerischen Bildern (Männer mit Tierköpfen) oder zeitlos poetischen Aufnahmen, die oft auch etwas Geheimnisvolles ausstrahlen, bewegte sie sich im goldenen Zeitalter der Werbung. 

In ihren Filmen transportiert sie hingegen Märchenmotive von Charles Perrauld und Hans Christian Andersen in eine zeitlose Realität. So bezieht sie sich bei Circuss (2003) auf eine Kurzgeschichte von Andersen, vom kleinen Mädchen, welches am kalten Weihnachtsabend vergeblich Schwefelhölzer zu verkaufen versucht. Sarah Moon verknüpft die Erzählung mit dem Niedergang eines Zirkus. Die Tochter der Artistenfamilie kann sich mit dem Straßenverkauf nicht retten und erfriert unbeachtet unter einer Brücke. 

Bis zum 21. Februar 2016 im Haus der Photographie/Deichtorhallen, Hamburg. Weitere Infos: www.deichtorhallen.de 

Gleich gegenüber, in der großen Deichtorhalle, hat gerade die sehr politische und monumentale Schau Streamlines – Ozeane, Welthandel und Migration als weiterer Meilenstein in der Geschichte der Deichtorhallen eröffnet. Kuratiert von Koyo Kouoh, Kamerunerin mit Wohnsitz Berlin, die Deichtorhallen-Chef Dirk Luckow auf der Biennale in Venedig traf und mit der Ausstellung beauftragte, ist eine Schau zu besichtigen, die die künstlerische Position der Konzeptkunst als Gesellschaftsanalyse nutzt. Es geht um Ozeane (den sechsten Kontinent), Seefahrt, Welthandel, Flucht, Kolonialismus und was Hamburg, das sich selbst als Tor zur Welt bezeichnet, damit zu tun hat. 

Ulrike Ottinger, Containermarkt Odessa, Mixed Media, Foto: Holger KistenmacherUlrike Ottinger, Containermarkt Odessa, Mixed Media, Foto: Holger Kistenmacher

„Die sechszehn teilnehmenden Künstler aus Europa, USA, Afrika und Lateinamerika sind alles Grenzgänger, künstlerische Wanderer zwischen den Welten und Kulturen“, meinte Luckow. Die Ästhetik des kritischen Weges vom individuellen Ansatz führt dabei zu einer globaleren Sichtweise. So kann man die raumgreifende Installation Blindsturz, ein von einer dicken Staubschicht bedecktes, zerklumptes Wrack, des Belgiers Peter Buggenhout als Mahnmal der gegenwärtigen Flüchtlingsproblematik deuten. Er selbst verortet sein Werk eher als Mahnmal gegen die Verblendung der Menschen und ihre Wegwerfmentalität.

Die großartige Berliner Künstlerin Ulrike Ottinger, bekannt als Filmemacherin (Bildnis einer Trinkerin), Dokumentaristin, Photographin und Installationskünstlerin, ist mit einer vielschichtigen Arbeit aus Bildern, Landkarten und Videos vertreten, die sich um den Diamantenhandel in der Welt drehen. Daneben hängen großformatige Wandteppiche des aus Mali stammenden Künstlers Abdoulaye Konaté, die den Widerspruch zwischen heiler Unterwasserwelt und industrieller Nutzung der Weltmeere zeigen. Äußerst politisch auch der Ansatz der tiefsinnigen Installation La mer morte des Franzosen Kader Attia, der das Ergebnis einer Flucht über das mörderische Meer in Form eines Teppichs aus Kleidungsstücken als Bodeninstallation zeigt. Um Welthandel geht es Thomas Rentmeister, der häufig banale Gebrauchsgüter für seine Installationen nutzt. In der Deichtorhalle stapelt er so Kakao-Trink-Packungen aneinander, ein minimalistischer, ironischer Kommentar über die Vergänglichkeit von Kunst, aber auch als poetischer See von Kakao zu deuten.

Poetisch, aber auch politisch sieht Alfredo Jaar seine Arbeit The Cloud, eine Wolke als Sinnbild des Kreislaufs der Natur, aber auch als Kommentar zur aktuellen Situation einer dunklen Wolke, die über Europa hängt und demnächst als Wolkenbruch herniedergehen könnte und dem Erbe des Kolonialismus entspringt.

All das und noch viel mehr (Meer) kann bis zum 13. März 2016 besichtigt werden. Weitere Infos: www.deichtorhallen.de

Fotos (c) Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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