Provence Today 1
Irgendwo im Nichts

Wunderbar: Aus einer unvorhergesehenen Lücke in meinem Kalender ist ebenso spontan wie kontoplündernd ein Kurzurlaub in der Provence geworden. Nun sitze ich irgendwo im ländlichen Nichts zwischen zurückgeschnittenen Lavendelfeldern, Rosmarinbüschen und Weinbergen, in denen mit der ersten Herbstfärbung bereits die Weinlese beginnt und genieße den Blick auf Bergketten und historische Stadtkulissen, die in der Spätsommersonne in allen Ocker- und Rottönen schimmern.

Es ist lange her, dass ich hier war – das merkt man nicht nur meinem Französisch an, das doch etwas mehr eingerostet ist, als ich es bei der spontanen Reiseplanung wahrhaben wollte. Inzwischen haben aber selbst die Franzosen bemerkt, dass ein paar Brocken Englisch im Geschäftsleben – und insbesondere in der Tourismusbranche, der sie hier ja alle mehr oder weniger angehören – nicht schaden und auch keinesfalls an Verrat an der Tricolore grenzen. Mit Händen und Füßen, einer Mischung aus Französisch und Englisch habe ich also ein paar Habseligkeiten auf dem nächstgelegenen marché erstanden und bin nun in meinem Ferienhaus angekommen.

Dieses Haus ist ein Schatz, wie er im Romantik-Reiseführer steht: Verwaschene, lindgrüne Fensterläden öffnen den Blick in einen eingewachsenen Garten, ein kleiner Pool (dessen hätte es für mich nicht wirklich bedurft, aber er ist nun mal da), ein paar Liegen, ein schattiger Sitzplatz vor der pittoresken Sandsteinfassade – alles wie im Bilderbuch. Wenn...
...ja: wenn da nicht das Innere des Hauses wäre. Warum ist dieses kleine Schatzkästchen nur an einen so völlig geschmacksfreien Menschen geraten, der es einzig als Abstellgelände für ausrangierten, ungeliebten Hausrat aller Zeitepochen und Stilrichtungen nutzt? Hier passt nichts, aber auch wirklich nichts zusammen, kein noch so kleiner roter Faden erschließt ein mögliches Konzept, kein Chic, kein Shabby-Chic, einfach nur alter Plunder, der irgendwo anders rausgeschmissen und komplett sinnfrei hier abgestellt wurde.

Alles ist heruntergekommen, angestoßen, Löcher klaffen in Decken und Wänden, Kabel, die aus einem unerkennbaren Irgendwo in ein hiesiges Nichts ragen, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und über allem dröhnt ein Kühlschrank, der zwar nicht kühlt aber brummt, als würde in der Küche jeden Moment ein Helikopter landen.

Sünde! Wenn dieses Haus Gefühle zeigen könnte, würde es vermutlich schreien.

Zum Glück schenkt mir Petrus einen herrlichen Spätsommer und lässt mich im Garten sein. Von hier sieht es wirklich toll aus, mein kleines Stück Provence!

Und außerdem höre ich von hier viel besser, wenn die junge Garde der Provencetouristen mit ihren aufgemöbelten vélomoteurs und Cross-Motorrädern die kleinen, verschlungenen Landstraßen zu Rennstrecken erklären und wie die Geistesgestörten ziellos durch die Wallachei metern. Mit einer Geräuschkulisse wie übergroße, motorisierte Ziegen, denen der Schwanz hellauf in Flammen steht, kreischen Sie durchs bergige Gelände und jubeln dabei die Gänge in astronomische Drehzahlhöhen. Ein Hörgenuss auch noch nach etlichen Kilometern – ganze Kerle auf stinkendem Blech! Dagegen nehmen sich die ungezählten Rennradtouristen à la Tour de France doch vergleichsweise langweilig aus...

Um die Mittagszeit sollte man aber ohnehin vermeiden, die minimalbreiten Wege zu befahren – mit einem motorisierten Franzosen auf dem Weg zu Mittagstisch und vin rouge ist in seiner genussgesteuerten Eile nicht zu spaßen! Alles, was in Nadelöhrkurven langsamer als 70 km/h fährt, wird hier ohnedies als stehendes Hindernis angesehen und mit rudernden Armen, Lichthupenkonzerten und weithin hörbaren Beschimpfungen bedacht. Selbst bestes Französischvokabular erübrigt hier jeden Übersetzungsversuch – der Sinn wird ohnehin auf der Stelle klar.

Kommt man allerdings tatsächlich unversehrt in einer der zahllosen Brasserien, Bistro's oder Restaurants an, so weiß man schon nach den ersten Bissen vom Entrée, woher der Begriff des Gottes in Frankreich stammt. Dazu ein leichter Roter aus dem Weingut um die Ecke, und das Leben ist für die nächsten drei Stunden einfach nur noch schön. Und so lange braucht es, um ein gutes, französisches Essen – egal ob mittags oder abends – mit allen Sinnen zu genießen.

Vive la France!

Karin Buchholz
Karin Buchholz
Karin Buchholz: Jahrgang 1963, Autorin - Kolumnistin - Leuchtturmbewohnerin. UL-Autorin seit 2007 mit über fünfzig Kolumnen aus verschiedenen Ecken der Welt. Erfinderin und Initiatorin der KULTURgedanken-Kampagne 2011. www.karin-buchholz.com

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