Nizza Today - Von Engeln und Rennfahrern

Nach zehn Jahren mal wieder nach Südfrankreich. Reiseroute: Côte d'Azur, Provence, Marseille. Gebucht: kobaltblaues Wasser, Spätsommersonne und la vie en rose. Da dürfen natürlich ein paar augenzwinkernde Reisebetrachtungen nicht fehlen.

Willkommen also zunächst in Nizza, der Stadt der Schönen und Reichen, der schneeweißen Superyachten, lässigen Porschefahrer und handtellergroßen Guccibrillen. Auf diesem 24-Stunden-Laufsteg reichen ein kleines Schwarzes und ein piepnormaler Pashminaschal schon lange nicht mehr aus. Hier heißt es: gewagt-originell bis experimentell – chic und très chic waren gestern, heute zählt das Kuriositätenkabinett. Und zu den auffälligsten Couture-Ausrutschern gesellen sich dann oft und gern ganzkörpertätowierte Machotypen, die sich und ihre bemalten Körperflächen wie getunte enfants terribles zur Schau stellen. Wer nicht auffallen will, ist auf der Promenade des Anglais definitiv fehl am Platze.

Aber im Café zu sitzen und sich das bunte Programm anzuschauen, macht noch immer genauso viel Spaß wie vor zehn Jahren – vorausgesetzt, die arrogante Kellner-Elite lässt sich denn überhaupt in die Niederungen des Bedienens von "nur-Kaffeetrinkern" herab. Aber dazu gern noch ein anderes Mal ausführlicher.

Heute soll es um das gehen, was VOR den Restaurants abgeht – und das ist eine ganze Menge. Spätestens ab elf Uhr vormittags schieben sich die Menschen in einer Endlospolonaise an den Cafés und Bars, Brasserien und Hotelrestaurants vorbei. Stehenbleiben sollte unbedingt vermieden werden, sonst rauschen einem mindestens die nächsten fünf Leute ins Heck. Immer schön im eingeschwungen-gleichmäßigen Tempo, dann läuft's auf der Promenade! Hier trennt sich auf den ersten Blick das gemeine Volk vom Profi-Promenadeur.

Gegenüber, auf der Wasserseite mit den Zugängen zu den teils öffentlichen, teils hoteleigenen Privatstränden verteilt sich die Menschenmenge auf dem breiteren trottoir besser, dafür nageln dann aber sekündlich wildgewordene Hochgeschwindigkeitsbiker, Rollerskater, Skateboarder und Lambrettapiloten an einem vorbei. Man kann sich's also aussuchen. Dem Meeresrauschen ist's egal – das hört man auf beiden Seiten der vierspurigen Prachtallee nicht. Nur Gucken. Lauschen ist woanders.

Wer sich dann irgendwann im Geschiebe genug dicke Füße und in den Verzehrtempeln zum Ausgleich genug dünne Brieftaschen geholt hat, nimmt für den Rückweg das Taxi. Diese Formel-1-Piloten des Alltags schmettern absolut gnadenlos die Promenade rauf und runter, wechseln die Fahrspuren auf Basis schweißtreibend-willkürlicher Sekundenentscheidungen, bremsen millimetergenau gerade noch hinter der Stoßstange des Vordermannes und ignorieren Fußgänger nach bestem Wissen und Gewissen.

Schutzengel haben hier absolute Hochkonjunktur – heißt die Bucht vielleicht deshalb so treffend Baie des Anges – die Bucht der Engel?

Ich selbst habe mich während dieses Aufenthalts ganze sechs Mal todesmutig einem solchen Behelfs-Sebastian-Vettel anvertraut und dabei lieber nicht so genau hingeschaut. Interessant allerdings, dass ich bei exakt identischer Strecke zu (bis auf wenige Minuten) identischer Tageszeit jedes Mal einen anderen Tarif abgeknöpft bekam: zwischen 10,60€ und 25€ kostete der Fahrspaß – das nennt man dann wohl satte Kalkulationsspielräume. Oh là là!

Nun, vermutlich ermittelt das der Fahrer je nach Anzahl der Spurwechsel, geschnittener Kurven, verschreckter Fußgänger und effektiv verfehlter Japaner samt Kamera-Ausrüstung... oder so...

Und wer hier für einen café au lait 8,50€ zahlen kann – welches Problem kann der schon mit 15€ Formel-1-Aufschlag haben? Alors! C'est la vie!

Vive la France!

Karin Buchholz
Karin Buchholz
Karin Buchholz: Jahrgang 1963, Autorin - Kolumnistin - Leuchtturmbewohnerin. UL-Autorin seit 2007 mit über fünfzig Kolumnen aus verschiedenen Ecken der Welt. Erfinderin und Initiatorin der KULTURgedanken-Kampagne 2011. www.karin-buchholz.com

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